Das Gefühl ist der Auslöser – ein Gespräch mit Steffen Rothammel

Steffen Rothammel wurde 1974 in Garmisch-Partenkirchen geboren. Der studierte Nachrichtentechniker ist passionierter Bergsportler und Weltreisender. Begeistert von der schönen Natur in seiner Heimat und in den bayerischen Alpen begann er als Jugendlicher zu fotografieren. Über sein Interesse an anderen Ländern und Kulturen sowie zahlreiche Reisen fand er schließlich neben der Natur- und Landschaftsfotografie auch zur Straßenfotografie. Es faszinierte ihn, mit den Menschen, die er porträtieren wollte, ins Gespräch zu kommen. Sich auf fremde Kulturen und Menschen einzulassen gehört für ihn ebenso zur Fotografie, wie im richtigen Augenblick ein Gefühl oder eine Szene im Bild festzuhalten. Und so wie der Reiz eines Landes oder einer bestimmten Situation vor allem in den Menschen liegt, die es oder sie prägen, so prägt jedes einzelne Gesicht auch Steffens Bilder. Seine Fotos wurden bereits in Magazinen wie National Geographic, Geo, Photographie und Bergwelten veröffentlicht. Ein jährlicher Bildkalender und Auftragsarbeiten gehören ebenfalls zu seinen Projekten.

Wer ist denn eigentlich Steffen Rothammel? Stell Dich doch bitte kurz vor. Wie lange fotografierst bzw. filmst Du schon und wie bist Du dazu gekommen?

Mein Name ist Steffen Rothammel. Aufgewachsen in der wunderbaren Natur bei Garmisch-Partenkirchen, kam ich schon als Teenager zur Fotografie. Über die Reisen, angetrieben durch die Naturfotografie, bin ich zu den Menschen und Kulturen gekommen. Die Straßen- oder Menschenfotografie ist jetzt mein Schwerpunkt. Einzigartige Geschichten und Momente, die nie wiederkommen.

Wann hat es bei Dir „Klick“ gemacht und Du wusstest, dass Du mit dieser Tätigkeit Geld verdienen möchtest?

Ich wollte nie mit der Fotografie Geld verdienen. Zumindest war das nicht der Antrieb. Bis jetzt habe ich auch vermieden, Aufträge wie Hochzeits- oder Produktfotografie anzunehmen, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich denke, dass eine Kunst sich nur frei entwickeln kann, wenn sie nicht mit Geldverdienen verbunden ist. Das monatliche Auskommen sollte zumindest am Beginn der Karriere eine andere Quelle haben.

Wie sieht es heute aus – kannst Du von Deiner Fotografie leben, oder betreibst Du das Ganze nur im Nebenerwerb?

Nein, es ist auch nach dem Buch und vielen Veröffentlichungen weiterhin finanziell ein Nebenerwerb. Ich habe so den Kopf frei für Kunst. Ich denke, dass nach einer anstrengenden Woche mit vielen Fotografenaufträgen die Lust schwindet, in der Freizeit ebenfalls auf hohem Niveau zu fotografieren.

Dein Schwerpunktthema ist hauptsächlich … . Weshalb? Was macht für Dich den Reiz daran aus?

Menschen und die Straßenfotografie, wobei es nicht immer eine Straße braucht. Als naturbezogener Mensch wird es die Natur auch weiterhin schaffen auf meine Bilder zu kommen, aber die einzigartigen Momente zwischen oder mit Menschen sind einmalig und nicht reproduzierbar. Auch ist es immer eine Überwindung, mit fremden Menschen in anderen Kulturen Kontakt aufzunehmen. Geschichten zu entdecken und mit Bildern Momente für immer festhalten ist für mich die Magie dieser Art der Fotografie.

Gibt es auch andere fotografische Bereiche, die Du gerne einmal ausprobieren würdest?

Krisenfotografie würde mich interessieren. Die Menschen aufmerksam zu machen über Natur- oder gesellschaftliche Krisen wird immer wichtiger in einer globalen Welt.

Wir können nicht weiter nur wegsehen und unseren Wohlstand maßlos ausnutzen. Ich denke, mit der Art von Fotografie, die ich seit Jahren betreibe, wäre das ein weiteres Feld für mich.

Gibt es im Gegensatz dazu auch Themen, die Du niemals fotografieren würdest?

Das ist schwer zu sagen, denn die Kunst ist ja frei, und ich weiß nicht, wo mich die Reise noch hinbringt. Dennoch kann ich sagen, dass der Inhalt, den ich fotografiere, mit meinen Werten vereinbar sein muss. Ob Auftrag oder nicht, das spielt hierbei keine Rolle. Bilder sind mächtige Waffen der Überzeugungskraft und dürfen nicht in falsche Hände geraten oder missbraucht werden.

Was war Deine bisher größte Niederlage bei Deiner kreativen Arbeit und was konntest Du daraus lernen?

Für mich gibt es in der Kunst keine Niederlagen. Es ist alles ein Lernprozess, der einen irgendwann zu sich selbst führt. Wenn ich eine Niederlage nennen müsste, würde ich Südafrika anführen. Ich war gesundheitlich angeschlagen und brachte nach einer vierwöchigen Reise nur eine Handvoll gute Bilder mit nach Hause. Aber auch daraus habe ich gelernt. Es gibt Zeiten, bei denen die Kamera einfach warten muss. Nur wenn man im “Flow” ist, gelingen gerade in der emotional sehr anstrengenden Fotografie von Menschen in ihrem Alltag gute Aufnahmen.

Was würdest Du gerne als Fotograf erreichen?

Auch wenn sich das zum Teil widerspricht, aber eben von dem, was ich fotografiere, zu leben. Ohne Aufträge annehmen zu müssen, die nicht meiner Art entsprechen.

Ansonsten schreibe ich gerade mein zweites Buch. Freue mich, wenn auch dieses dann die Menschen erreicht. Es handelt vom eigenen Stil und dem Finden zu sich selbst in der Fotografie.

Gibt es besondere Menschen, die Dich in Deiner Entwicklung als Fotograf geprägt haben?

Es sind vor allem die Motive auf meinen Bildern. Nahezu zu jedem habe ich eine Geschichte im Kopf. Die fremden Kulturen, in denen ich unterwegs war, prägten mich als Europäer ganz besonders. Ich kann sagen, dass ich ein anderer Mensch bin durch die Erlebnisse. Ich weiß, dass es noch ganz andere Lebensarten gibt und unsere westliche, kapitalistisch geprägte Lebensweise nicht das Maß aller Dinge ist. Darüber hinaus haben mich unter anderen fotografisch William Eggleston und Sebastião Salgado sehr geprägt. Den Tritt in den Hintern ein Buch zu schreiben, gab mir das Buch „Die Seele der Kamera” von David DuChemin. Hier merkte ich, dass es nicht immer die Bilder eines Fotografen sind, die begeistern können, sondern auch die Worte. Fotografie ist eben ein Lebensweg, der einen viel lehrt und die Sicht auf die Welt verändert.

Was war Dein letztes großes Projekt und wie kam es dazu?

Das Buch „Das Gefühl ist der Auslöser”, erschienen 2019 im dpunkt.verlag. Wie gesagt, ich habe das Buch von DuChemin gelesen und fand mich an vielen Stellen wieder. Ich merkte, dass es viel zu sagen gibt, wenn man etwas nur lange genug macht. Ich wollte, wie viele Künstler, endlich weiter nach außen gehen mit meiner Kunst. Ein Buch ist eine super Möglichkeit. Denn es geht nicht nur um die Bilder, sondern auch um die Geschichten dahinter. Man kann anderen etwas von seiner eigenen Art zu fotografieren weitergeben und die ein oder andere Entwicklung mit Tipps aus seiner eigenen abkürzen.

Einfach anfangen ist der beste Tipp. Ich habe einfach angefangen zu schreiben, was mir in den Sinn kam. Dann einen Anruf vom Verlag zu bekommen, bei dem einem Buchprojekt zugestimmt wird, ist ein toller Moment. Der sechsseitige Artikel in der PHOTOGRPAHIE 9/20 ist dann einer der Momente, die einen persönlich sehr berühren. Alles führt eben doch zu etwas, wenn man nur dranbleibt.

Und was ist Dein nächstes Projekt?

Ich habe vor ein paar Tagen die Freigabe für ein zweites Buch bekommen. Daran beginne ich jetzt zu schreiben. Gerade in Zeiten von Corona ist Zeit, einiges Revue passieren zu lassen. Das Buch wird in die Richtung des fotografischen Stils gehen und 2021 im dpunkt.verlag erscheinen.

Gibt es für Dich ein Lieblingsland zum Fotografieren und wenn ja, warum gerade dieses?

Das ist schwer zu beantworten. In Zeiten des Klimawandels wird es immer schwieriger auf diese Frage zu antworten. Ich denke es ist sehr wichtig, wenn wir weiterhin weit reisen wollen, einen „Grund” zu finden. Nichts kann einen Flug nach Fernost rechtfertigen, aber wir können versuchen, als Fotografen etwas zu bewegen. Daher werde ich mir auch in Zukunft immer genau überlegen, was der Mehrwert sein kann von solchen Reisen. Wir Fotografen können mit Geschichten nicht die Welt verändern, aber die Sichtweise der Menschen. So können Reisen auch einen positiven Einfluss auf die Umwelt und Gesellschaft haben, wenn wir denn etwas damit aussagen. Dokumentationen im TV zeigen uns das und auch die Raumfahrt ist hierfür ein Beispiel. Plätze, die wir nicht kennen, werden wir nicht schützen. Kulturen, die wir nicht verstehen, nicht tolerieren.

Wenn Sie mich jetzt nach Ländern fragen… Für mich war Kuba ein Meilenstein. Aber überall auf diesem Planeten gibt es etwas zu erzählen.

Gibt es ein Bild, welches Dir besonders am Herzen liegt und das eine besondere Bedeutung für Dich hat?

Der Besuch einer der letzten Nomadenfamilien Marokkos hat mich sehr geprägt. Ein Lebenswandel, den wir Menschen Jahrtausende gelebt haben. Irgendwie fühlt es sich sehr schnell „normal” an. Eine sehr einfache Lebensweise von sehr zufriedenen Menschen. Wir wurden zu Tee und frischem im Boden gebackenen Brot eingeladen und nach einiger Zeit erlaubte mir die Mutter, sie und das Zeltlager mit der Familie zu fotografieren. Wie schon erwähnt, es gibt auch andere Lebensweisen als die unsere.

Was macht für Dich ein wirklich herausragendes Foto aus?

Das ist die Frage schlechthin. Wenn ich die beantworten könnte, würde ich Vorlesungen halten.

Ich denke, in einer gelungenen Aufnahme sollte eine Verbindung zu spüren sein. Egal ob im urbanen oder der Natur. Man sollte sehen, dass der Fotograf Kontakt aufgenommen hat. Bei Menschen sieht man das an den Gesichtern. In der Natur an gewähltem Fokus und Bildaufteilung. Reproduktion ist immer ein schlechtes Bild. Eigene Geschichten, auch wenn technisch nicht perfekt fotografiert, das ist es, was ein Bild ausmacht. Denken Sie nur an die Bauarbeiter auf dem Doppel-T Träger in NewYork. Technisch nichts Besonderes, aber die Geschichte und die Idee, das zu fotografieren, hat das Bild in unseren Köpfen zementiert.

Die heutige Zeit ist für Fotografen ja nicht einfach. Wie siehst Du die Zukunft der Fotografie, und was sollte man als Fotograf machen, um in der Masse wahrgenommen zu werden?

In der Fotografie gibt es keine guten oder schlechten Zeiten. Ja, wenn man als Fotograf von Aufträgen lebt, sind es keine guten Zeiten, zumindest aus finanzieller Sicht. Aber diese Art von Fotografie überdauert auch nicht als Form von Kunst. Die Kunstfotografie hat wie die Malerei oder Musik immer spezielle Zeiten. Ich habe in den sozialen Medien einen Fotografen aus New York kennengelernt, der die Corona-Situation in den Straßen festgehalten hat. Menschen mit Mundschutz in der U-Bahn und Ähnliches. Hervorragende Aufnahmen und mit Geschichten und Emotionen gefüllte Bilder. Jede Zeit hat in der Kunst ihren Reiz. Um sich abzuheben von der Masse, hilft ein eigener Stil, Ideen und eben die angesprochenen Geschichten. Diese ereignen sich zu jeder Zeit. Die Zukunft der Fotografie wird zunächst eine Trennung spüren. Eine Trennung zwischen dem reinen Festhalten für Instagram-Postings und der künstlerisch geprägten Fotografie. Ich denke, bei aller Bilderflut ist die Zahl der wirklich guten Fotografen mit künstlerischem Aspekt relativ konstant geblieben. Genau hier liegt die Chance dieser Fotografen, sich von der Bilderflut als Künstler mit Anspruch und Aussage abzuheben.

Mit welcher Ausrüstung arbeitest Du?

Ich habe in meinem Buch geschrieben, dass Ausrüstung nicht zentral ist, sondern der Fotograf das Bild macht. Was auch stimmt. Dennoch kann eine schlechte oder falsche Ausrüstung ein Bild auch unmöglich machen. Ich bin momentan mit einer spiegellosen Vollformatkamera unterwegs. Als Objektive benutzt ich fast ausschließlich Festbrennweiten. Mit weit offenen Blenden von 1.8 oder kleiner lassen sich Bilder besser „malen” und Gewicht und Größe nehmen im Vergleich zu Zoomobjektiven ab.

Gibt es bestimmte Hilfsmittel oder Apps, die Du gerne für Deine Arbeit einsetzt?

Bei der Fotografie von Menschen sind die Hilfsmittel oft ganz spezielle. Eine kleine Sofortbildkamera ist toll, um Menschen etwas dazulassen. Wichtig ist vor allem, für das eigene leibliche Wohl zu sorgen. Denn hungernd oder frierend wird das nichts mit den Bildern.

Gibt es bestimmte Webseiten oder Apps, die für Dich als Fotograf unverzichtbar sind?

Ich benutze nur Lightroom für meine Bildbearbeitung. Übersetzungsprogramme helfen gerade in sehr fernen Gegenden.

Du bist ja nun schon länger erfolgreich im Geschäft. Welche Tipps kannst Du anderen geben, die auch gerne mit Fotografie Geld verdienen möchten?

Wie erwähnt ist das Geld verdienen in der Version des kompletten Lebensunterhaltes als Fotograf schwierig. Gerade wenn man ohne klassische Alltagsaufträge auskommen will. Lassen wir jetzt mal einen Auftrag von National Geographic außen vor. Ich denke, es ist wichtig sich immer treu zu bleiben. Immer das zu fotografieren, was einen begeistert und Spaß macht. Keinen anderen Fotografen hinterherzulaufen, sondern das eigene Ding zu machen. Vor allem aber, immer weiter machen. Meinungen anhören, aber nicht entmutigen lassen. Gerade in Deutschland leben wir in einer Gesellschaft, in der Kunst leider mittlerweile als Einnahmequelle belächelt oder, wenn man dann erfolgreich ist, nur beneidet wird. Schade für das Land der Dichter und Denker. Nie aufhören und immer weiter machen - seinen eigenen Stil nicht suchen, der kommt von alleine.

Zum Schluss noch einen Lieblingsspruch?

Die ersten 10.000 Fotos sind die schlechtesten. (Helmut Newton)

Vielen Dank für das Interview.

STEFFEN
ROTHAMMEL

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ns · 14.09.2020